KATALOGTEXT ZUR AUSSTELLUNG "IM ZWIELICHT", BONN 2002
Autor: Michael Schneider

IM ZWIELICHT
GEDANKEN ZU WERKEN VON MAX DIEL

Max Diel malt gegenständlich und ungegenständlich. Er verbindet seine Motive einer eigenartigen Wirklichkeit mit einer Malweise, die dem sogenannten radical painting, der sich selbst genügenden, abbildungsfreien Malerei, entlehnt scheint. Peinture und surface, Farbsetzungen und materielle Spuren an der sichtbaren Oberfläche wirken häufig zusammen; viele Detailbetrachtungen seiner Werke vermitteln den Anschein, nicht dem Diktat einer dem Motiv entsprechenden Form- und Farbsprache entsprungen zu sein. Dabei ist mit surface nicht die ebenfalls reizvolle grobe Materialmontage von verschiedenen fragmentarisierten und neu zusammengesetzten Bildträgern vieler seiner Arbeiten der letzten Jahre gemeint. Diese sind in ihrer Tektonik auf den ansonsten zweidimensionalen Werken und durch die Tatsache , daß sie ab und an das Rechteck des eigentlichen Bildformates durchbrechen, offensichtlich.

Die stillen und besonders subtilen Momente geben Auskunft über Diels Malhaltung, die sich nicht in plakativen Darstellungen erschöpft, sondern die ambivalente Stimmungen anspricht. Selten beschäftigt sich Max Diel mit der unmittelbaren Wirklichkeit. Auslöser für seine Bildideen sind bereits gefilterte Vorlagen. Sensibel reagiert der Künstler auf scheinbar flüchtiges Bildmaterial und bewahrt für ihn eindrucksvolle Fotos, Postkarten und sonstige gedruckte Abbildungen auf. Aus diesem Fundus schöpft er, nicht um zu kopieren oder schlicht Gefundenes in Malerei zu transformieren, sondern um neue Inhalte zu kreieren.

Die Ergebnisse bleiben dabei häufig ausschnitthaft. Personen und Gegenstände sind von den Bildgrenzen Diels überschnitten. Seine starke Beziehung zum Medium Film schlägt sich nieder. Während einer Filmvorführung wird zwangsläufig die Handlung verfolgt, ohne daß ein zwischenzeitliches Innehalten möglich ist. Max Diel hält ihn an, den Film der Realität. In der Bewegung erstarrt, wie eingefroren wirkt sein Figurenpersonal und die umgebende Dingwelt. Wie in den Film Stills des klassischen Hollywoods, die allgemeinhin nicht aus der jeweiligen Szene kopiert wurden, sondern nachgestellte kunstvoll arrangierte Aufnahmen darstellen, wird die Handlung von Diel auf wesentliche Momente verdichtet und agierende Personen in wichtigen, teils dramatischen Szenen und Verstrickungen erfaßt. Der Moment, in dem das Bild zum Objekt wird und der Blick auf ihm zur Ruhe kommt, bezeichnet den wichtigen Übergang vom Beobachter zum Betrachter. Es dominiert der Eindruck, erstmals ausreichend Zeit zur Verfügung zu haben, um eine Szenerie eingehend und konzentriert zu studieren. Keine Nuance der Einstellung geht verloren, sämtliche Zwischentöne sind erfahrbar und analysierbar.

Im Leben wie im Film hinterlassen tiefe Erlebnisse und starke Eindrücke bei den Betroffenen Nachbilder. Manchmal bleiben sie farbig und kräftig, manchmal werden sie grisailleartig und fahl, manchmal sind sie scharf und konturiert. Solche Nachbilder bringt der Künstler in seine Werke ein und findet damit ein adäquates Medium, das zwischen Kunst und Leben zu vermitteln vermag. Dabei wird auf die Eindeutigkeit etwaiger Bildaussagen bewußt verzichtet. Es ist die innere Resonanz zu einem Bild, die sich als Prozeß im psychischen, unbewußten Bereich abspielt, die Max Diel sucht. Und auf dieser Suche begleitet ihn der Betrachter.

Das Bild "Rettung", 2001 widmet sich dem zunächst unverdächtigen, banalen Motiv einer Badeszene. In seichtem Wasser stehend, beugt sich ein Mann mit vorgestrecktem Arm zu einem Schwimmreif, der in extremer Nahsicht die untere Hälfte des Hochformates einnimmt. Trotz des sommerlich anmutenden Handlungsraumes, des blauen Wassers und nur leicht weiß bewölkten Himmels, ist eine latente Bedrohung spürbar. Im Gegenlicht zeichnen dunkle Schlagschatten die Figur, deren Gesicht bis auf ein nicht zu deutendes Lächeln kaum zu erkennen ist. Der Schwimmreif verliert, erfaßt man seine rot-weiße Farbgebung, seine Spielzeug-Funktion. Sieht man in ihm einen Rettungsring, drängt sich ein veränderter Assoziationshintergrund auf, der durch den umgebenden Strudel, eine Art Sog des Wassers, unterstützt wird. Die Frage, ob Untergang und Depression, oder Rettung und Heilung hier thematisiert sind, läßt sich nicht beantworten. Sie wird weiter potenziert, indem die Perspektive des Betrachters in etwa der eines Kleinkindes entspricht, welches den Reif überproportional groß und den sich nähernden Mann in Froschperspektive wahrnimmt. Es besteht ein Dialog zwischen dem abgebildetem Mann innerhalb des Bildes und dem Betrachter außerhalb des Bildes. In der Ambivalenz kann es keine Eindeutigkeit geben; so wissen wir nicht, ob sich die unklare, verschwommene Hand zum Reif oder zum Betrachter, dem imaginären Kind hin ausstreckt. Die Oberfläche des Bildes verhält sich wie ein Spiegel, der zwei Räumlichkeiten voneinander trennt.

Häufig spielen die gemalten Szenen Max Diels am Wasser oder mit dem Wasser. Die sich ständig bewegende Wasseroberfläche spiegelt zwar reale Formen, gibt diese jedoch auch verzerrt wieder. Frühe Beispiele aus diesem Themenkreis, wie etwa „Am Wasser“, 1993, oder „Unter Wasser“, 1996, lösen die gegebenen Figuren zu einem großen Teil auf. Der Künstler entzieht seinen Arbeiten mit Hilfe dieses Leitmotives und seiner malerischen Umsetzung Eindeutigkeit, fordert das spekulative Schauen von sich und vom Rezipienten. Vergleichbare aktuelle Werke, wie „An der Reling“, 2001, und „Matrose“, 2001, behandeln das Motiv Wasser in leicht veränderter Weise. Gleichsam bewegt und den gewählten Bildausschnitt dominierend läßt es den Figuren mehr Autonomie. Lediglich auf dem Matrosenanzug und dem Kleid der Frau setzt Diel das Spiel der Wellen in doch deutlich konturierterer Trennung fort. Bei der Papierarbeit „Matrose“ ist, wie bei weiteren Werken auf Papier, die Unebenheit des Trägers zudem bewußt eingesetzt und bewirkt einen objekthaften Charakter. Verloren sich frühere Gestalten in der See, wirken sie nunmehr eher beseelt. Auffällige Gemeinsamkeit ist auf allen genannten Beispielen der dem Betrachter abgewandte Blick, der sehnsüchtig in die verborgenen Ferne schweift.

Ein anderes, konstant wiederkehrendes Motiv, das des Schwans bzw. der Schwäne, ist ebenfalls mit der Darstellung von Wasser verknüpft. Allgemein gilt der Schwan als Sinnbild von Reinheit, Unschuld und Anmut. Diel erweckt den Anschein, gerade Arbeiten vor diesem symbolischen Hintergrund mit formalen Grundsatzfragen zu verknüpfen. Das maltechnische Vorgehen einer Anlage der Farben weiß in weiß, die variierende Haltung der einzelnen Tiere und ihre Zusammensicht in kleinen Gruppen üben einen großen Reiz aus. Es entstehen nahezu abstrakte Farbfelder, die eine Identifikation des eigentlichen Motives oft erst bei konzentrierter Betrachtung ermöglichen, und eine Flächigkeit, die im Vergleich zu den extremen Tiefenperspektiven anderer Bilder deutlich auffällt.

Besonders hier wird eine verdichtete Gleichzeitigkeit von freier und figurativer Malerei vorgeführt, die man in Verbindung mit dem doch eindeutig vorbelasteten Schwanen-Thema, als Indiz für Diels unschuldigen Umgang mit Malerei an sich begreifen kann. Auf die geführten Diskussionen über die potentielle Ablösung der Malerei als relevantes zeitgemäßes Medium läßt sich der Künstler bewußt nicht ein. Jenseits eines wie auch immer gearteten Rechtfertigunsdranges nimmt er sich die Freiheit zur Unschuld und schafft Bilder, deren Ehrlichkeit erspürbar ist. Seine psychische Konstitution, die wesentlich am Entstehen seiner Arbeiten beteiligt ist, ist nicht nur Teil des Schaffensprozesses, sondern ein maßgeblicher Inhalt, der keiner weiteren Begründung bedarf.

Läßt sich der Betrachte darauf ein, trifft er im illusionistischen Zwielicht Max Diels Malerei nicht nur den Künstler im Bild, sondern wie in einem milchigen Spiegel, sich selbst.