Die menschliche Kulturgeschichte kann als eine Geschichte der wiederkehrenden Abfolge von Aktion und Reaktion, von These und Antithese gelesen werden. Mit dem 19. Jahrhundert ging ein Jahrhundert der Utopien, des Scheins, der Illusion zu Ende – zumindest in der Kunst. Der Impressionismus beendete mit seinen Lokalfarben die feinmalerisch-glatte, illusionistische Salonmalerei. Die Architektur brachte am Beginn des 20. Jahrhunderts (wieder) eine Hinwendung zu einer funktionalistisch nachvollziehbaren Konstruktion von Gebäuden, die ohne Dekor, Verblendung mithin Verschleierung ihrer tragenden Elemente auskam, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder von verspiegelten Architekturen rückgängig gemacht worden ist. Auf die figurative folgte die abstrakte beziehungsweise konkrete Malerei, deren Pendel dann später wieder zur fotorealistischen Malerei ausschlug. Während in den 1920er-Jahren der abstrakte Farbfilm eine absolute Avantgarde darstellte, erlebte das auf höchste Illusion abzielende 3D-Kino in den 1950er-Jahren einen ersten Höhepunkt. Zahlreiche weitere Beispiele für diese bewusst sehr vereinfacht dargestellte Sichtweise auf die Entwicklung der Kunst ließen sich leicht ergänzen.

Das Fach der Malerei gehört am Anfang des 21. Jahrhunderts in der bildenden Kunst sicherlich zur schwersten Disziplin, da bereits anscheinend alle möglichen Variationen von einer hyperrealistischen Feinmalerei bis hin zu einer Malerei, die alle Abbildlichkeit und auch das Medium selbst negiert, durchdekliniert worden sind. Neben einer Malerei, die auf digitale Techniken und Medien reagiert oder diese mit einbezieht, gehört eine Malerei, die im Reich des Dazwischen agiert und oszillierend zwischen Abstraktion und Figuration unverkrampft hin und her pendelt und dabei ein räumliches Vexierspiel veranstaltet, zu den interessanteren Ausprägungen.

Max Diel gehört fraglos zu einer Generation junger bildender Künstler, die es auf eine intelligente Weise verstehen, zum einen in diesem Reich des Dazwischen zu laborieren, wozu auch das Vexierspiel der Verschränkung von Innen- und Außenräumen gehört. Zum anderen betreibt er eine Malerei, die auf dem künstlerischen Schaffen ihrer Vorgänger aufbaut und aus deren konzeptuellen Ansätzen und Bildstrategien die entsprechenden Rückschlüsse zieht und diese in sehr eigenständige, innovative und überzeugende Bildfindungen überträgt.

Das Werk von Max Diel zeichnet sich dabei durch eine Ehrlichkeit und Direktheit aus, mit welcher es der Künstler versteht, seine Gefühle und seine Sicht der Dinge auf die Leinwand zu bannen. Nicht selten bildet dabei eine gewisse Melancholie den Grundton der Atmosphäre, in welche die Bilder getaucht sind. Die Protagonisten, welche die Gemälde von Max Diel bevölkern, sind häufig ausschnittartig und nicht selten in einer nach innen versenkten Haltung zu sehen. Die Körpersprache suggeriert eine in sich gekehrte Befindlichkeit, wodurch es scheint, als sähe man in das Innere des Menschen hinein. Dies verblüfft umso mehr, als Max Diel eher selten Porträts malt und es vielmehr vorzieht, eine anonymisierte, teilweise verdeckte Sicht auf seine dargestellten Charaktere zu gewähren.

Das malerische Werk von Max Diel ist motivisch nicht nur in den Grenzbereichen von Außen und Innen angesiedelt, sondern auch zwischen Wasser und Land verortet, es spielt sich zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Realität und Irrealität bzw. Surrealität ab. Dieses Dazwischen ist kennzeichnend für sein Werk und darüber hinaus Ausgangspunkt zu einer vertiefenden Bilderkenntnis, die einerseits das Bild – trotz der perspektivischen Brüche und der eingebauten, abstrakten „Störfaktoren“ – als illusionistischen Ausblick gelten lässt und zugleich durch seine materielle Manifestation das Bild in seiner zweidimensionalen materiellen Beschaffenheit entlarvt.

Formal betrachtet beherrscht Max Diel das postmodernistische Spiel des Jonglierens mit Bildzitaten und Anspielungen an die doppelte Beschaffenheit des Gemäldes: das klassische Tafelbild, welches einerseits als Malgrund für eine bildillusionistische Malerei dient, andererseits aber immer auch faktisches Objekt ist. Hier kommt nicht selten die Collage zum Einsatz. Sie behauptet sich mit großer Selbstverständlichkeit neben der Malerei und der Zeichnung. Die Malerei erscheint im Werk im Grenzbereich von Malerei und Zeichnung – so wie man es z.B. auch von Edward Munch oder Max Beckmann kennt. Wie bedeutsam das Linienhafte in seinen Bildern ist, wird beispielsweise immer wieder durch verschiedene Muster, Strukturen und Gewebe deutlich, die in vielen Werken zu finden sind. Max Diel erwähnte einmal in einem persönlichen Gespräch: „Zeichnung kann für mich grundsätzlich alles sein: Collage, Schnitt oder Riss, Kratzspur etc. Immer dort, wo wir es mit dem Phänomen „Spuren“ zu tun haben, ist das Prinzip der Zeichnung präsent. Auch die Malerei bedeutet für mich lediglich die Weiterführung dieser Spurensuche. Letztlich ist Malerei nichts anderes, als Zeichnen mit Pinsel und Farbe.“

Der Begriff „Spurensuche“ kann dabei als kennzeichnend für Diels Haltung zur Malerei betrachtet werden. Er vereint in seinen Gemälden eine ganze Reihe unterschiedlicher Bildquellen, welche Inspirationsmomente aus dem Alltagsleben widerspiegeln. Das Auf- spüren und Festhalten dieser Momente mit der Digitalkamera ist ihm dabei genauso wichtig, wie der Gebrauch von Postkarten oder Zeitungsfotos. Diel sammelt regelrecht Material und prüft, ob es bei näherer Betrachtung Grundlage für ein Gemälde sein bzw. werden kann. Im Laufe des Arbeitsprozesses, der einer Reise in Innere gleicht, werden innere Bilder mit den äußeren ins Ganze gebracht und zu einem Gemälde verschmolzen. Nicht selten greift Diel auch auf Reproduktionen von Meisterwerken der Kunstgeschichte zurück. Sie werden ebenso selbstverständlich verarbeitet, wie das übrige Bildmaterial und formieren sich auf seinen Gemälden zu einer Art „Bild im Bild“, gleich- sam einer geistigen (mentalen) Collage.

Die gängigen Zeichentechniken wie Lineares Zeichnen, Skizzierendes Zeichnen, Darstellen von Volumen und Tonalität etc. beherrscht Max Diel ebenso souverän, wie den gekonnten Umgang mit Holzkohle, Blei- und Farbstift, Pastell usw. Hiervon zeugen seine zahlreichen Skizzenbücher, sowie die Kohlezeichnungen, welche sich auf seinen Gemälden wiederfinden: Diese kommen immer dann zum Einsatz, wenn ein neuer Bildentwurf ausprobiert wird. Hier zeichnet Max Diel mit der Holzkohle – häufig auch modellierend – in die frische Ölfarbe hinein, was zu einer Verdichtung von Zeichnung und Malerei führt. Die Grenzen zwischen Malerei und Zeichnung werden durchsichtig, so, wie überhaupt das Durchsichtigwerden von streng abgegrenzten Kategorien ein Grundanliegen des Künstlers zu sein scheint. Somit verwundert es nicht, dass Max Diel in seinen Bildern motivisch immer wieder das Material Glas oder Folie verwendet, als Material des Übergangs, des Dazwischen.

Andreas Beitin